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Ganz Ohr - Versuch einer Annäherung

Zeitungsartikel | Personen, Betriebe | 01.04.2002

Ganz Ohr - Versuch einer Annäherung

...an die gehörlose Kunstlichtbildnerin Johanne Steinhauer

erschienen in NEWS das Magazin 4/April 2002

Man schrieb das Jahr 1895, als ein kleines Mädchen mit dunklem Haar und blauen Augen in eine grenzenlose Stille hineingeboren wurde; es war der 12. Tag des neuen Jahres. Noch ahnten Eltern und Großeltern, dass das Mädchen mit dem Namen Johanna, weder sie, noch irgendeinen Laut je würde hören können. Viele Jahre später würde sie über sich selber sagen: „Ich bin ein anderer Mensch geworden!“ Sie hatte sich Flügel wachsen lassen.

Der Ort, an dem die kleine Johanna Einzug gehalten hatte, lag gleich gegenüber der evangelischen Kirche in Rosbach, ein Fachwerkanwesen mit munterem Treiben ringsherum. Der Großvater betrieb seine Klempner-Werkstatt, während die Großmutter mit fester Hand die Besucher ihrer Gastwirtschaft lenkte. Vater Julius und Mutter Hannchen waren geschäftstüchtige und gut betuchte Kaufleute mit einem Kolonialwarengeschäft. Es war eine kleine, sichere Welt und doch gab es allerlei Anreiz, so dass es Johanna möglich war ihre angeborene Intelligenz zu entwickeln. Noch hatte sie keine Sprache um sich mitzuteilen, sie war auf die Mimik der Gesichter angewiesen und las von den Lippen. Im Jahr 1901 kam die acht Jahre ältere Katherine als Haushaltshilfe in die Familie. Katherine benutzte die Sprache des Herzens samt Händen und Füßen. Johanna liebte sie innig und war begierig Katherine bei allen Arbeiten zu helfen. Sie blieben für den Rest des Lebens eng verbunden.

Obwohl man fernab der großen Welt lebte, muss im Hause Steinhauer ein Geist gelebt haben, der sehr fortschrittlich war und den die kleine, mitfühlende Tochter mit ihrer feinsinnigen Anlage aufgesogen hatte. Die Eltern förderten Johanna auf bemerkenswerte Weise und werden überlegt haben, wie sie ihrem Kind ein gutes Leben ermöglichen können. Etwa mit zehn Jahren brachten Vater oder Mutter Johanna täglich, bis sie alleine reisen konnte, nach Köln in eine Schule für Taubstumme (heute benutzt man das Wort nicht mehr, denn die Sprache kann erlernt werden. Taub wird im Alltag oft mit dumm gleichgesetzt, was keinesfalls richtig ist, deshalb benutzt man die Worte schwerhörig oder gehörlos). Die Bekanntschaft mit der neuen Welt war für Johanna nicht einfach, oft weinte sie sich bei Katherine aus. Aber immer mehr kam der Schöngeist zu Tage, die Kunst in all ihren Formen hatte es ihr angetan - Literatur, Musik - insbesondere Orgelmusik (sie erfasste Musik durch Beobachtung des Instruments und Vibration), bildende Kunst – sie liebte die schönen Dinge und umgab sich mit ihnen. Genau wie die Mutter, entwickelte sie sich zu einer großen, attraktiven Frau, die großen Wert auf ein elegantes, gepflegtes Äußeres legte. Die Eltern schenkten ihr eine Kamera, und bereits im 1. Weltkrieg entwickelte sie eigene Fotos. Sie ließ sich zur Fotografin ausbilden und legte 1930 ihre Meisterprüfung bei Professor Böhm in Köln ab.

Währenddessen hatte Katherine, die wie eine Schwester für sie war, 1916 die Zwillinge Elli und Ewald geboren und Johanna wurde Patin. Elli Nosbach, heute fast 86 Jahre alt, erinnert sich, „mein Bruder und ich haben sie geliebt, nie durften wir Tante sagen, immer nur Johanne.“ Es war nach der Ausbildung als Johanna zu Elli sagte, „ich habe es geschafft, ich bin ein anderer Mensch geworden.“ Mittlerweile konnte Johanna, die ihren Namen in das weichere Johanne umgewandelt hatte, sich sprachlich gut verständigen.

Stolz auf ihre Leistung, richtete Johanne sich im Haus der Eltern ein geschmackvolles Atelier ein und kaufte einen schlanken, dunklen Opel mit dem sie Kunden besuchte. Als ausgezeichnete Fotografin erhielt sie Preise, unter anderem in der Schweiz. Bekannte Fotos sind die Aufnahme des alten Glöckners Nosbach aus Rosbach oder der Schmiede aus Sieg bei der Arbeit. In Zeitschriften wie der Münchner Illustrierten wurden Aufnahmen veröffentlicht.

Der alte Glöckner Nosbach aus Rosbach (+ 1942). Foto: Johanne Steinhauer

Johanne Steinhauer hatte sich zu einer Person entwickelt, der man mit Respekt begegnete und die in ihrem Beruf sehr anerkannt war. Gerne lachte sie und nahm an Gesellschaften teil, beschränkte jedoch engere persönliche Kontakte auf den Familienkreis. Ihr Patenkind erinnert sich an eine unabhängige, bodenständige, zufriedene Frau, die sich nicht unterordnen wollte und von sich sagte, dass sie nie heiraten wolle. Bei der Kommunikation mit Menschen war sie auf deren Geduld und Wohlwollen angewiesen. Außer den beiden Patenkindern deren Fingersprache sie verstand, beherrschte niemand die Gebärdensprache. Sie las von den Lippen und Menschen die nicht viel mit ihr zu tun hatten, taten sich oftmals schwer sie zu verstehen, was sie wiederum wütend machte.

Der Bombenangriff auf Rosbach 1945 zerstörte das Atelier von Johanne Steinhauer, Amerikaner entwendeten ihre Studioeinrichtung. In ihrer Verzweiflung half ihr Otto Wille, ein Kollege aus Waldbröl. Im neuen Atelier arbeitete sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1961.

(sc)

 

 


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