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Lange Schatten des Krieges

Text | Weltkriege, Personen | 15.07.1915

Lange Schatten des Krieges

Das bedeutet auch, die meisten Menschen in diesem Land kennen nur Friedenszeiten. Die Spuren von zwei Weltkriegen im vergangenen Jahrhundert sind in den meisten Familien wohl nur noch schwer nachvollziehbar, sie sind verwischt. Doch Frieden ist nicht selbstverständlich.

Vor ein paar Jahren, tauchte eine solch‘ beinahe verwischte Spur auch unerwartet aus dem Dunkel meiner Familie ans Licht. Ich hatte einen entfernten Verwandten in Köln besucht. Als wir Familiengeschichte zu sprechen kamen, holte er eine Kiste, kramte nicht lange und überreichte mir eine lang gehütete Feldpost aus ferner Zeit. Rund einhundert Jahre nach Aufnahme der Fotografie blicke ich in ein Kindergesicht, das traurig aus einer Soldatenuniform hervorschaut. Aufgrund der Familienähnlichkeit erkannte ich sofort, dass dies der Bruder meiner Großmutter war: Otto Kleinjohann aus Schladern. In unserem eigenen Fundus gab es ein einziges Foto auf dem er um 1910 mit Eltern und Geschwistern zu sehen ist.

Am 15. Juli 1915 hatte er seiner Schwester Anna, die in Düsseldorf „in Stellung“ war, einen Feldpost-Gruß aus der Champagne in Frankreich geschickt. „Die anderen sind alle „Roßbacher“ (Windeck-Rosbacher), schreibt er auf der Rückseite der Karte. Die Männer tragen eine Blume im Knopfloch, Otto mit dem Kindergesicht allerdings nicht. Die Bedeutung der weißen Blumen im Knopfloch, sie sehen aus wie Margeriten, konnte ich bislang nichts Überzeugendes herausfinden.

Nach beinahe 100 Jahren kam die Feldpost von Otto Kleinjohann aus Schladern (hintere Reihe, 2. von rechts) an seine Schwester Anna in Düsseldorf zurück in seinen Geburtsort

Es ist nicht überliefert, ob er freiwillig und begeistert in den Krieg gezogen war. Überliefert ist, dass er zu den über eine Million getöteten, verwundeten und vermissten Soldaten der Schlacht an der Somme gehörte. Er fiel am 29. November 1916 in der Nähe von Miraument. Er war 22 Jahre alt.

Sicherlich haben die Geschwister ihn nicht vergessen, aber haben sie je über ihn geredet? Gerade deshalb bin ich sehr froh, dass die Karte zu mir kam, damit auch nach über hundert Jahren noch gelegentlich jemand an den jungen Mann denkt, der glaubte ein Leben vor sich zu haben und zum sinnlosen Kanonenfutter wurde.

„Sende Dir hiermit mal einen Post… von mir, welcher Dir gewiss gefällt. Die anderen sind alle Roßbacher. Mir geht’s noch immer sehr gut. Dir doch auch gewiss. Viele Grüße sendet dir dein Bruder Otto.“

Für die Zeitung schrieb ich darüber einen Beitrag. Mein WiWa-Vereinskollege Thomas Weber las ihn und erkannte das Bild wieder. Er schrieb mir:

"Hallo Sylvia, ich habe gerade Deinen Artikel in der Rundschau gelesen. Ich habe die gleiche Postkarte, siehe Scan! Die Karte ist an meinen Urgroßvater Heinrich Ganseuer adressiert. Grüße, Thomas"

"An
Familie
Heinrich Ganseuer
Schladern
a/d Sieg (Rhl)

Lieber Onkel u. Familie,

die besten Grüsse aus Frankland [sic] sendet euch allen in bester Gesundheit Carl Gansäuer. Viele Grüsse an alle und auf Wiedersehen.
Viele Grüße sendet Wilhelm Rademacher
Besten Gruß Willy Weiper
„ „ Karl Krämer"

Poststempel:
(violett) Briefstempel; Res. – Inf. – Regt. 65 * 9. Kompanie *
(schwarz) 16.7.15 B / N; FELDPOSTEXPEDITION DER 16. RESERVE-DIVISION

 

Auf dem Waldfriedhof Schladern erinnert eine Inschrift am Ehrenmal für die Gefallenen beider Weltkriege an Otto Kleinjohann. 

Text: Sylvia Schmidt

 

 

 

 


Burg-Windeck-Straße 7