Pfarrer Hartig

Zeitungsartikel | Personen | Samstag, 01 März 2008

Vor 70 Jahren trugen die Herchener ihren mutigen Pfarrer zu Grabe

Pfarrer Hartig kämpfte von der Kanzel gegen den Nationalsozialismus

Erschienen in der Rhein-Sieg-Rundschau im März 2008

Von Sylvia Schmidt

Windeck-Herchen – „Der Pastor ist tot“ - wie ein Lauffeuer verbreitete sich am 14. März 1938 die Nachricht vom Tod des evangelischen Pfarrers Dietrich Wilhelm Hartig in Windeck-Herchen und in den umliegenden Dörfern. Vier Tage später läuteten die Glocken beider Kirchen im Ort. Ein langer Trauerzug folgte dem Sarg und den sechs Trägern auf dem Fußweg von der Evangelischen Kirche auf den Alten Friedhof.

Erich Land aus Gerressen hat Pfarrer Hartig als Kind persönlich erlebt. Im Jahr 1995 hat er für den evangelischen Gemeindebrief anhand von Originalunterlagen einen Rückblick geschrieben. Foto Schmidt

Mit seiner Familie war der neue Pfarrer im Jahr 1918 freundlich von der Herchener Bevölkerung aufgenommen worden. Bald unterhielten er und Ehefrau Martha gute Beziehungen zu evangelischen und katholischen Familien der Gemeinde. Hitlers Machtergreifung am 30. Januar 1933 sollte das Leben der Pastorenfamilie tiefgreifend ändern. In einem Erlass vom 30. Juni 1933 hatte die Glaubensbewegung Deutscher Christen, Gauleitung Ostmark, die Kirchenkreisleiter aufgefordert, darüber zu wachen, dass die zu ernennenden Kommissare der Kirchengemeinden dieser Glaubensbewegung beziehungsweise der NSDAP angehören: „Bedenken gegenüber kirchlichem Behördengeist gibt es nicht mehr. Die Kirchenbehörde sind wir. Wo Superintendenten irgendwelche Schwierigkeiten machen, … gegen solche wird umgehend vom Staatskommissar das Weitere veranlasst werden.“

Die kirchenpolitischen Auswirkungen hinterließen in Herchen Spuren. Es bildete sich eine Gemeindegruppe Deutscher Christen, der aber nur wenige beitraten. Diese Strömung im deutschen Protestantismus orientierte sich am Führerprinzip. Als klare Absage an diese Bewegung fasste das Presbyterium (anwesend waren vier von sechs Presbytern: Kirchmeister Wilhelm Demmer, August Schmidt, Wilhelm Hoffmann und Gustav Bachenberg) am 16. November 1934 unter Pfarrer Hartigs Vorsitz den Beschluss, sich der Bekennenden Kirche im Rheinland anzuschließen.

Heimatforscher Erich Land aus Windeck-Gerressen hat auf der Grundlage von Originalunterlagen, die heute in der Evangelischen Archivstelle in Boppard untergebracht sind, im Jahr 1995 einen Rückblick über Pfarrer Hartig für den Gemeindebrief verfasst. Darin berichte er von der erweiterten Gemeindeversammlung im Februar 1935, bei der es zu Auseinandersetzungen gekommen war. Die Gemeinde hatte mit zwölf Stimmen für den Beschluss, mit fünf Nein-Stimmen dagegen und mit zwei Enthaltungen abgestimmt. „Hieraus ergab sich, dass die Gemeinde gespalten war“, schreibt Land. In ansehnlicher Zahl bekannten sich Gemeindeglieder jetzt zur Bekenntniskirche.

Auf Pfarrer Hartigs Anregung wurden monatliche Männerversammlungen zur Aufklärung und fortlaufenden Information eingeführt. Auch in seinen Predigten ließ er sich das Wort nicht verbieten. „Manche erinnern sich, dass er dabei bespitzelt wurde“, schrieb Land. Der Gemeindepolizist Buchner warnte einmal inständig, die für den nächsten Tag vorgesehene Verlesung eines Schreibens der Bekennenden Kirche zu unterlassen, weil man sonst nichts mehr für ihn tun könne. „Ich stehe dazu, und ich lese das Schreiben der Gemeinde vor“, soll Hartig geantwortet haben. Auch der Bürgermeister war ihm wohl gesonnen. Eines Abends sprach in dessen Auftrag die Tochter des evangelischen Lehrers Wilhelm Müller an der Hintertür des Pfarrhauses vor, um Hartig vor einer gegen ihn zu erwartenden Maßnahme staatlicher Stellen zu warnen.

Ein erschütterndes Zeugnis, wie groß der Druck auf das Leben dieses Dorfpfarrers war, der sich dem Regime nicht beugen wollte, davon zeugte damals ein vorsorglich gepacktes Köfferchen. Sehenden Auges, aber nicht willens, ein Jota von seinem Glauben abzuweichen, hielt er diesen Koffer immer bereit in der Erwartung, dass man ihn jederzeit an jedem Ort verhaften konnte. Hartig wirkte für die Bekenntniskirche nicht nur als Vertrauensmann, er war auch Lehrer der Vikare und Mitglied des Ausbildungs- und Prüfungsamtes und leitete in der Diakonissenanstalt Düsseldorf-Kaiserswerth Wochenendseminare.

Am Silvesterabend zum Jahreswechsel 1937/1938 teilte Dietrich Wilhelm Hartig der Kirchengemeinde vor der Predigt mit: „Eigentlich müssten wir feiern, denn heute Abend halte ich die zwanzigste Silversterpredigt hier in Herchen. Aber mir ist nicht nach Feiern zumute.“ Wenige Wochen später, am 11. März, befand sich der Kirchenmann auf der Heimfahrt von Remscheid. In Remscheid hatten Studenten der Theologie innerhalb der Bekennenden Kirche ihre Prüfungen ablegt, die ebenso wie Tagungen, nur unter strenger Geheimhaltung stattfinden konnten. Es sollte Hartigs letzte Reise werden. Im Zug erlitt der Herchener Pfarrer einen schweren Herzanfall, ein anwesender Arzt leistete Erste Hilfe und der Pastor wurde in das Krankenhaus in Solingen eingeliefert. Zuhause sorgten sich Ehefrau und die drei Kinder um ihn, der sonst stets rechtzeitig von den Reisen zurückkehrte, deren Zielort allerdings auch vor der Familie geheim gehalten wurde.

Am 14. März jährt sich der Todestag von Pfarrer Dietrich Wilhelm Hartig. Damals wurde er bis zu seiner Beerdigung in der Evangelischen Kirche aufgebahrt. Drei seiner Amtsbrüder, sein Freund Pastor Kolfhaus aus Bad Godesberg, Pfarrer Held aus Essen und der Präses der Bekennenden Kirche (BK) im Rheinland Dr. Paul Humberg legten bei der Beerdigung einen Kranz mit der Aufschrift nieder „Teneo, quia teneor“ (Ich halte am Glauben fest, weil ich gehalten werde). Im Namen des Bruderrates ehrte Dr. Humberg den Verstorbenen als einen der wenigen älteren Amtsbrüder, die von vornherein den Kirchenkampf gegen die Nationalsozialisten in seiner Tiefe und Tragweite durchschauten und unentwegt zur Sache der Bekenntnissynode gestanden hatten. „Er muss jemand mit großem Kampfgeist gewesen sein“, meint die heutige Pfarrerin Ulrike Rittgen. „Er gehört zu den Pfarrern, die unvergessen sind in der Gemeinde und von denen noch immer gesprochen wird.“

 

Siegtalstraße 33
Windeck, Nordrhein-Westfalen.
Deutschland ,51570

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