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Zur Geschichte der Familie Kraemer aus Schladern

Text | Personen | 01.01.1875

Zur Geschichte der Familie Kraemer aus Schladern

Von Ulrich Kraemer


v. li. Oben: Else Müller, geb. Kraemer, Hilde Schuhen, geb. Kraemer, Ehemann Paul Schuhen, Ernst Kraemer mit Sohn Ulrich.
Mittlere Reihe v. li. Mina Kraemer, geb. Ludwig, Enkelin Bärbel Schuhen, Karl Kraemer, Luise Kraemer mit Sohn Walter.
Untere Reihe v. li.: Margret und Wolfgang Schuhen. 

Foto: Klaus Müller

Die ältesten Zeugnisse des Namens Kraemer gehen zurück bis ins Jahr 1807, da wird ein gewisser Johann Wilhelm Kraemer erwähnt, der in Etzbach geboren wird. Vermutlich waren seine Vorfahren aus Glaubensgründen vom Siebengebirge an die Sieg gekommen. Johann Wilhelm sucht sich in Langenbach an der Nister die 1817 geborene Katharina Krah zur Frau und schon 1837 meldet sich Sohn Peter an. Doch die Ehe ist nur von kurzer Dauer, schon bald nach der Geburt von Peter stirbt Katharina im Alter von 21 Jahren. Der Witwer findet Unterschlupf mit seinem minderjährigen Sohn Peter bei einer Jugendfreundin und bearbeitet ihre Äcker. Es wird berichtet, dass er auch in der Zeit um 1848, als revolutionäre Gedanken die Menschen in Deutschland bewegten, dafür sorgte, dass Sohn Peter keine Unterrichtsstunde versäumte. Eine heute harmlose Atemwegserkrankung beendete sein Leben nach nur 41 Jahren.

Eheleute Wilhelmine und Peter Kraemer

Peter lebte noch einige Jahre in Langenbach und arbeitete seit etwa 1857 einige Zeit als Bauhelfer bei der Erstellung der neuen Eisenbahnlinie Köln-Gießen. Doch ein traumatisches Erlebnis ließ ihn dieser Arbeit bald den Rücken kehren. Bei einem Erdrutsch, der bei den Arbeiten nichts Ungewohnliches war, wurde er verschüttet, Unverletzt geborgen suchte er bald nach einer weniger gefährlichen Tätigkeit. über eine Schreibstelle in Hamm fand er schließlich zu einer Tätigkeit an der Güterabfertigung Wissen.

In Wissen lernte Peter seine Frau Wilhelmine kennen, die dort bei einer Familie Clostermann als Dienstmädchen arbeitete. Sie stammte aus Oberrieferath, einem Ort an der damals einzigen Straße vom Siegtal ins Bröltal, die erst durch den Bau der Eisenbahn und der damit neuen Siegtalstraße an Bedeutung verlor. Sie heirateten 1863. In den folgenden 12 Jahren kamen 6 Jungen und ein Mädchen zur Welt. Peter Kraemer hatte inzwischen den Arbeitgeber gewechselt und war Zahlmeister bei der Wissener Hütte geworden. Den Weg zur Zweigstelle Brückhöfe legte er mit gefüllter Brieftasche zu Fufl zurück.

Die neunköpfige Familie wohnte in einem Anwesen der Firma. Hier waren außerdem ca. 30 Männer in zehn Zimmern untergebracht, die nur am Wochenende bei ihrem Familien weilten.
Für zehn Pfennig pro Person und Tag sorgte Ehefrau Wilhelmine mit einem Dienstmädchen für Sauberkeit in den Zimmern und im Essraum. Als kleinen Nebenverdienst eröffnete sie einen "Kiosk", an dem die Arbeiter Tabak, Zucker usw. kaufen konnten. Die Lebensmittel hatten alle von zu Hause mitgebracht.

Der jüngste Sohn Karl berichtet von einer ereignisreichen Kindheit: "Dicht am Haus
führte der Hüttenbach vorbei mit Forellen, Weißfischen und Krebsen. Durch den Mühlengraben lief das Wasser auf das Mühlrad der Knochenmühle. Dort türmten sich die Knochenreste von Pferden, Rindern und verendeten Wildtieren. Wir Buben stibitzen in der Dunkelheit Knochen und verkauften sie am nächsten Tag wieder für einige Pfennige an den Leusitzer, einen Junggesellen auf Schönstein." (Knochenmehl ist ein guter organische Dünger. d. R.)

Um das Jahr 1890 keimte in Peter Kraemer der Gedanke, seine Ersparnisse in Höhe von 15000 Mark für zwei seiner Söhne anzulegen: für den Bäckergesellen Wilhelm und den Kaufmann Robert. So begann im Jahre 1892 der Bau eines Wohn- und Geschäftshauses mit Bäckerei in der Schladerner Siegstraße.

Das Wohn- und Geschäftshaus in der Siegstraße, heutige Elmoresstraße

Doch dem Unternehmen war gleich zu Beginn kein Glück beschert. Sohn Robert litt seit mehreren Jahren an Knochentuberkulose, war bereits einmal amputiert und sein Zustand verschlimmerte sich nach der zweiten Amputation, sodass er nur ein Jahr nach Baubeginn verstarb. Konkurrenz anderer Bäcker und fehlendes unternehmerisches Geschick machten auch bald der Bäckerei den Garaus. So übernahm der Jüngste, Karl, zusammen mit seiner Schwester Emma und seinen Eltern Peter und Caroline den Kolonialladen.

Und nun nahm das Geschäft langsam Fahrt auf. Caroline fand endlich mehr Zeit, die sieben Kinder waren inzwischen erwachsen. Sie kam von Brückhöfe öfter nach Schladern und half gerne im Geschäft. Ende 1903 bekam sie eine Lungenentzündung und starb im Januar 1904 mit den Worten: "Nun komm ich zu meinem Robert." (früh verstorbener Sohn)
In den nächsten Jahren nahm eine Haushälterin den Platz von Caroline ein; im Jahre 1909 setzte ein Schlaganfall dem 72 jährigen Peter Kraemer ein Ende. Auf dem Rosbacher Friedhof (heute Berliner Platz) fanden er wie auch seine Frau ihre letzte Ruhe.

 

Caroline und Peter Kraemer 1878, der jüngste ist Karl (geb.1875)

Zu Beginn des neuen Jahrhunderts änderte sich das Leben in der Siegstrafle. Karl war noch immer Junggeselle.

Karl, 2.v.li. im Jahre 1894 - Dattenfelder Kirmes.

Die nächsten Zeilen sind ein Zitat von Karl: "Den 10.9.1905 kam ein junges, angenehmes und sauberes Mädchen, Minna Ludwigs, in den Haushalt meiner Schwester, die nach dem Weggang mit ihrer Familie im Frühjahr 1906 den Haushalt weiterführte. Wenngleich mein Vater verschiedene reiche "Partien" für mich vorgesehen hatte - denn es musste ja eine Lösung für Geschäft und Haushalt eintreten - so kam eine Verbindung doch nicht zustande; ich war wenig heiratslustig. Minna Ludwigs, 18 Jahre und ich 30 Jahre, verstanden uns gut, hatten uns gegenseitig eingelebt und wie es so kam: sie wurde zwei Jahre nach ihrem Einzug in Schladern, genau auf den Tag am 10.9.1907 mein Lebenskamerad."

Kaum war die Hochzeit von Karl und Minna vollzogen, da war auch schon der Stammhalter da: Ernst geb. 1907

Im Jahr darauf übernahm Karl das Geschäft in eigener Verantwortung. Der Handel begann zu florieren, sodass sich Karl zu einer Geschäftserweiterung entschloss: Auf der Rückseite wurde ein großer Saal angebaut. Dort stellte er Möbel, Hausrat, Öfen und Herde aus, junge Paare aus der Umgebung von Windeck konnten hier die Erstausrüstung eines Haushaltes, Schlafzimmer- und Küchenmöbel aussuchen und erwerben. Schlafzimmer- und Wohnzimmermöbel wurden noch bis zu Beginn der 1960er Jahre verkauft, nicht mehr im hiesigen Lager, sondern über den Großhandel. Der Autor erinnert sich noch gut daran, wie er mit seinem Vater den Opel Caravan mit zerlegten Schränken belud und vor Ort in Wissen oder Betzdorf aufbaute.

Auch im Vorderteil des Altbaus fanden Veränderungen statt, um die Verkaufsfläche zu erweitern. So wurde der Möbelsaal aufgestockt und es entstand neuer Wohnraum. Nahe Verwandte aus ausgebombten Städten fanden hier ab 1944 vorübergehend eine Heimstatt.

Zwei weitere Kinder erblickten im Laufe der nächsten zehn Jahre das Licht der Welt: 1910 die Tochter Hilde, später verheiratet mit Paul Schuhen, und 1918 Else, verheiratet mit Kurt Müller.

Von li: Else 3 Jahre, Hilde 11 Jahre, Ernst 14 Jahre

Inzwischen war der erste Weltkrieg ausgebrochen. Karl wurde 1915 eingezogen, wurde aber schon 1916 in Heimatnähe stationiert und konnte sich ab 1918 wieder seinen Geschäften widmen. Diese hatten sehr gelitten und die Lage verschlechterte sich in den kommenden Jahren bis zum Inflationshöhepunkt 1923 permanent. Karl verlor, wie Millionen Deutsche, sein gesamtes Barguthaben und stand am Ende mit 200 Rentenmark da.

An dieser Stelle zitiere ich aus dem Tagebuch von Karl Kraemer: "Das Erwachen aus diesem Betrug und Schwindel, das Erwachen aus diesem Taumel der Zerstörung, die Ernüchterung aus diesem Wahnsinn ließen meine Kräfte für kurze Zeit erlahmen. Doch es blieb nur die Wahl unterzugehen, zu versinken oder neu anzufangen und frisch aufzubauen. Minna und ich fassten Mut und Vertrauen, kauften mit einigen tausend Mark Kredit wieder gangbare Ware, ich gewann und vergrößerte den Kundenkreis in Wissen, erhöhte der Umsatz beträchtlich und stand 1930 wieder auf gesunden Füßen. Ja, es waren glänzende Jahre; Warenhunger, Geldflüssigkeit ließen jeden, der auf seinem Posten war, geldlich wieder gesund werden. Dann kam freilich ein starker Rückschlag bis 1933, der manchen Gewerbetreibenden - groß oder klein - hinwegfegte."

Die Jahre des Aufschwungs und Umbruchs

"Beginnend mit 1933 begannen für den Handel wieder flotte Zeiten, sodass ich einen langjährigen Wunsch ausführen konnte: Ein Auto, ein Personenauto! Oh welche erfreulich schönen Erlebnisse mit unserem neuen Wagen, der uns in so kurzer Zeit den Reichtum und die Schönheit unserer weiten Heimat, das bergische Land, den Westerwald, den sonnigen Rhein, die Mosel, die Eifel, ja den Neckar und die thüringischen Lande noch brachte. Wir tauschten den ersten BMW (Typ Dixi) schon 1934 gegen einen größeren und diesen 1938 gegen einen neuen BMW ein.

Ich sage wohl nicht zu viel, wenn ich diese Jahre 1933- 1940 als die erfolgreichsten und glücklichsten schätze. 1934 bekam ich durch den Schwiegersohn Paul Schuhen eine tatkräftige Hilfe, denn nun kam ein guter Kundenkreis in Betzdorf dazu, und das Aussteuergeschäft wurde wesentlich gehoben." (Zitat Karl Kraemer)


Ernst hatte inzwischen eine ausgebildete Verkäuferin aus Kirchen/Sieg kennengelernt und heiratete seine Luise, geb. Horn 1939.

In Schladern am Bahnhof gab es das Hotel Clever. Es hatte öfter den Besitzer gewechselt, gehörte der Bielsteiner Brauerei und stand 1938/1939 zum Verkauf.

 

 Karl Kraemer erwarb es für 24 000 Mark, investierte weitere 25 000 Mark in die Instanthaltung und den Umbau und konnte zu Beginn des Jahres1939 sein Geschäft eröffnen. Die Räume in der Siegstraße wurden vermietet, u.a. viele Jahre an die Frisörbrüder Baldus, die aus dem zerstörten Duisburg nach Schladern gekommen waren.

 

Als Hitler den Angriff auf Polen befahl und damit den 2. Weltkriegs begann, wurden Paul und Ernst eingezogen. Beide kämpften u.a. in Russland, doch während Ernst mit leichten Verletzungen schon kurz nach der Kapitulation heimkehrte, kam Paul erst nach langer Gefangenschaft gesundheitlich und psychisch geschädigt zurück.


Karl hatte sich schon vor Kriegsbeginn nach und nach aus dem Geschäft zurückgezogen. Er und seine Frau Minna hatten ihren Lebensunterhalt durch Mieteinnahmen und Zinsen. Karl vergab Kredite an Privatpersonen. Familie Thiel aus Altwindeck war im Jahr 1906 einer der Kreditnehmer beim Umbau der Wirtschaft (Gasthof "Zur Linde").
Das Geschäft am Bahnhof bekam den Namen "Kraemer und Schuhen". So war aus dem Hotel Clever das größte Geschäft in Schladern geworden.

Prospekt Hotel Clever

 

Geschäftshaus Kraemer und Schuhen

Hilde und Paul Schuhen hatten inzwischen 3 Kinder, Margret geboren 1936, Wolfgang geboren 1939 und Bärbel geboren 1943.

Bei Luise und Ernst erfüllte sich 1946 der langersehnte Kinderwunsch, erst Ulrich und 1948 Walter.

 

Ulrich

 

 Die Brüder

Doch Minna Kraemer hatte nur kurze Zeit Omafreuden an den beiden. 1949 erkrankte sie und verstarb mit 62 Jahren.

 

Minna im Geschäft Siegstrafle

 

Die Eheleute Kraemer 1947


Unter grofler Anteilnahme der Schladerner wurde sie zu Grabe getragen

Leichenwagen am Haus

Im Jahre 1952 fand auch Else mit Kurt Müller aus Köln einen Ehemann, sie hatten vier Kinder. Witwer Karl lebte bis zum frühen Tod seiner Tochter Else mit im Haushalt, erst in der Siegstrafle, dann Auf der Teichhardt, wo Kurt ein grofles Haus gebaut hatte. Er wurde 97 Jahre alt.

Der kleine Klaus mit seinen Vettern

 

Mit dem Aufkommen der ersten Supermärkte zu Beginn der 60er Jahre verwandelte sich auch das Geschäft am Bahnhof: Theken und Wandregale machten Verkaufsgondeln Platz. Dennoch war ein Ende des Geschäftsbetriebs absehbar: Das Alter der Inhaber forderte seinen Tribut. Ende der 1970er Jahre wurde das ganze Anwesen einschliefllich des Wiesengrundstücks (heute Apotheke) verkauft und wechselte inzwischen mehrfach den Besitzer.

Familie Kraemer 1956

Hier endet vorläufig die Geschichte der Familie Kraemer in Schladern. So wurde das Stammhaus der Kraemers in der Siegstraße wieder zum Wohnsitz des ältesten noch lebenden Nachfahren.