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Badefreuden in Schladern

Text | Dorfgeschichten | 15.05.1952

Badefreuden in Schladern

von Frieder Döring

In den 1950er Jahren haben wir ziemlich regelmäßig, beinahe pünktlich am 15. Mai die Badesaison in Schladern eröffnet. Da begann für uns der Sommer, und meist war es auch ein schöner sonniger Tag. Allerdings nicht immer. Einmal, erinnere ich mich, war es so kalt gewesen, dass nur mein Vetter Peter und ich an die Sieg gingen und ein Thermometer mitnahmen. Die Wassertemperatur war 11 Grad Celsius. Was soll‘s, meinte Peter, heute ist der 15. Mai, heute wird geschwommen! Also sprangen wir an unserem Badeplatz oberhalb der Maueler Brücke ins Wasser, schwammen so schnell wir konnten zum Wasserfall runter, wendeten, schwammen wieder hoch und zogen uns am „Strand“ zitternd die Klamotten wieder an. Von einer Erkältung danach ist mir nichts bekannt.

Wir Schladerner Pänz waren in vieler Hinsicht privilegiert! Wir hatten durch die Staumauer des Wasserfalls den schönsten, tiefsten, größten und mit den Sprungtürmen der Brückenpfeiler spektakulärsten Badeplatz an der ganzen Sieg. Darüber hinaus hatten wir den Wasserfall selber zum Klettern und Fischen mit der Hand, den Maueler Teich und Höffers Teich zum heimlichen Angeln, Floss- und Bötchenfahren und im Winter zum Schlittschuhlaufen. Außerdem hatten wir jede Menge weiterer Abenteuerspielplätze wie die Burgruine Windeck, das Sumpfgebiet Krummauel, die Firma Elmores mit Luftschutzbunker, die ehemalige Ziegelei Schroeder und Jaeger mit ihrem Lehmbergstollen, den Güterbahnhof mit Rangierloks, den Bodenberg mit seinen Kriegswaffenverstecken, den alten Westertsteinbruch mit diversen Höhlen und Ruinen, Schöneck mit Mausoleum und dem Otterstein-Badeplatz, sowie die vielen Rittersitze und ihre Ruinen um die Burg Windeck herum.

Bei sonnigem Wetter, wie damals meist ab Mitte Mai, trafen sich nachmittags fast alle Dorfkinder jeglichen Alters, also Oberdorf und Unterdorf zusammen, die sonst getrennt marschierten, am Siegbadestrand an der Maueler Brücke. Es gehörte zum jährlichen Ritual, dass man sich erst mal von der Sonne verbrennen ließ. Wir wussten, dass wir nach dem ersten kräftigen Sonnenbrand keinen weiteren mehr kriegten. Lichtschutzmittel kannten wir nicht. Auch zum Ritual gehörte zu klären, wer von den Kleineren noch nicht schwimmen konnte. Der wurde von den Älteren sofort zum Schwimmunterricht eingeteilt und lernte unter ihrer Aufsicht meist in vier bis sechs Wochen irgendwie schwimmend die Sieg zu überqueren, das war unsere Freischwimmerprüfung. Der Stil war egal, vom Rückenschwimmen über Tauchen bis zum Hundepaddelstil war alles erlaubt, nur einmal alleine quer über die Sieg und zurück, dann war man aufgenommen im Club. Und der Ehrgeiz dazuzugehören war bei allen so groß, dass es jedem gelang, in den ersten Sommerwochen zum Schwimmer zu werden. Die höheren Weihen erreichte man dann noch mit einem Sprung vom Brückenpfeiler, etwa drei Meter, und die höchsten mit dem Sprung vom Brückengeländer, etwa fünf Meter. Das war beides nicht ungefährlich. Man musste den richtigen Wasserstand kennen und beim Absprung genau in den Caissongraben zielen, der die Pfeiler umgab, denn nur da war das Wasser tief genug für solche Sprünge.

Aber es gab noch ´ne Menge anderer interessanter Beschäftigungen in der Sieg: es wurden Flöße gebaut und Wasserschlachten veranstaltet, dann natürlich wieder Oberdorf gegen Unterdorf. Wir haben oft tote Fische eigesammelt und an ihnen praktischen Zoologie-Unterricht vollzogen. Das war immer dann möglich, wenn in der Pressholzfabrik Etzbach kurz hinter Au wieder mal die Abwasserteiche „zufällig“ übergelaufen waren und alle Siegfische uns bäuchlings an der Oberfläche entgegengeschwommen kamen, während die Sieg heftig nach Phenol roch. Oder wir haben uns mit diesen sogenannten „Scheißhaufen“ zugeschmissen, die auch regelmäßig von oben runter geschwommen kamen, und die mich mal zu einer Glosse anregten:

„Wenn der Wasserstand niedrig war im Sommer, dann kamen auch die dicken Scheißhaufen angeschwommen. Woher, weiß ich nicht, das heißt, ich hab‘s ja dann ausprobiert. Als ich mal nötig musste, groß meine ich, denn gepisst haben wir sowieso unter Wasser, also, als ich mal kacken musste, und die Uferbüsche waren voll von anderen Kindern, die entweder selber kackten oder sich dauernd an- und auszogen, damit man vom Wasser aus zusehen konnte, da hab ich mich etwas flussaufwärts zurückgezogen, die Badehose runter und kurz aber gründlich unter Wasser abgedrückt.

Und die Scheiße kam sofort nach oben geschossen und trieb stromabwärts. Und während ich ihr noch freudig überrascht nachschaute, denn es schien mir wie eine fast künstlerische Leistung, was da abging, da hatte ich schon ein klebriges Gefühl im Nacken. Und als ich zupackte, wusste ich auch, was da an mich herangesegelt war: Scheiße vom Nachbardorf Rosbach. Ich wusch mir den Kram mit dem desinfizierenden phenol- und formalinhaltigen Siegwasser ab und dachte grinsend an die Dattenfelder Jungs, auf die meine Kacke zu segelte, auch wenn unser Wasserfall sie vorher noch verwirbelte. Der Kreislauf der Scheiße dieser Welt würde sich nun elegant in den Kreislauf des Wassers einreihen.“

Es gab natürlich auch noch niedlichere Beschäftigungen, wie Fischbrut einfangen. Dazu machten wir uns im Uferkies kleine Hafenbecken mit schmaler Öffnung, durch die, wenn‘s sonnig war, die Fischbrut zum Aufwärmen reinschwamm. Wir standen mit einem Verschlussstein in der Hand in zwei Meter Entfernung. Wenn der Hafen voll war, rannten wir hin und verschlossen die Öffnung damit. Dann konnten wir die eingesperrten Fischlein mit dem Teesieb in mitgebrachte Einmachgläser oder Konservendosen umfüllen. Zu Hause wurden sie dann in unsere Aquarien verfrachtet und den ganzen Sommer über gefüttert. Im Herbst setzten wir die inzwischen gewachsenen Fische wieder in der Sieg aus. Einmal hatte ich einen etwas größeren Burschen gefangen und ihn zu Hause in einem Einmachglas belassen, weil ich vermutete, dass er ein Hecht sei. Ich habe ihn gut gefüttert, er wuchs auch rasch heran und drehte sich im Glas immer rechts herum. Am Ende des Sommers war er mit dem Maul fast an der Schwanzspitze angekommen und es war klar, dass er ein Hecht war. Es wurde Zeit, dass ich ihn freiließ. Ich schüttelte ihn aus seinem Glas in die Sieg und stellte überrascht fest, dass er gar nichts anderes mehr konnte, als sich rechts herum drehend zu bewegen. Das wird seine großen Artverwandten in der Tiefe gefreut haben.

Oder „Blaue Steine“ sammeln. Ich nannte so diese kieselartigen, aber runzeligen, zwischen einem Millimeter und drei Zentimetern großen bunt glitzernden Bröckchen Siegtürkise, weil sie alle Farbnuancen zwischen Hellgrün und Dunkelblau aufwiesen. Die haben wir zu Hunderten gesammelt und mitgeschleppt, um sie zu Hause als Spielsteine oder Schmuck zu verwenden. Später habe ich auch mal Ketten davon gemacht und verschenkt. Als ich sie meinem Vater gezeigt habe, der als Bergbauingenieur auch Steinsammler war, hat er sie in seine Firma mitgenommen, und im dortigen Labor hat man sie untersucht und als eindeutige Schlackenproduckte mit Eisen- und Kupferanteilen aus der Siegerländer Eisenverhüttung vor allem in Hamm, Wissen und Wingershardt nachgewiesen. Die blaue und grüne Farbe stammte von den Kupfererzen darin.

Direkt hinter der Maueler Brücke und unserer Badestelle lag noch der Maueler Teich, ein ehemaliger Siegarm, der lange Jahre unser heimlicher Angelplatz und im Winter „Eiskunstlauf-Stadion“ war. Ende der 50er Jahre wurde er von der Firma Elmores auch als Müllhalde benutzt. Unter anderem wurden große Mengen (wasserlösliches und giftiges) Kupfervitriolsalz da hineingekippt. Wenn wir zum Baden kamen, hatte ich immer Einmachgläser oder Konservendosen dabei und schaufelte mir damit auch einige Kilo Kupfervitriol auf zum Mitnehmen. Zu Hause ließ ich sie in gesättigter Lösung auf Suppentellern in der Sonne verdampfen und züchtete mir so wunderschöne, bis zu fünf Zentimeter große blaue Kristalle, die ich in der Schule verkaufte, um mir damit Zigaretten vom Automaten zu holen, denn Rauchen hatten uns die großen Jungs neben Schwimmen und Fahrradfahren mit spätestens zehn Jahren auch schon beigebracht. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.