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Geburtstagsfeier

Text | Dorfgeschichten, Besondere Anlässe | 24.12.1947

Geburtstagsfeier

von Frieder Döring

Unsere Geburtstagsfeiern ab dem Eintritt ins Schülerdasein waren eine besondere Sache in den 1950er Jahren. Vor Beginn unserer Volksschulzeit hatten wir Kindergeburtstage meistens nur mit Familienangehörigen, denn Kindergartenfreunde gab es nicht, da es keine Kindergärten gab. Mit Beginn unserer Schulzeit wurde das anders. Da hatten wir Schulfreunde, nämlich die ganze Oberdorfbande, das waren die etwa gleichaltrigen Jungs, die im Oberdorf nördlich des Bahnhofs wohnten und meist auch irgendwie von der großen Schneiders-Familie aus der Gründerzeit um 1820 abstammten, wie wir auch, mein Bruder Jochen und ich. Die Jungs aus dem Dorf südlich der Bahnstrecke gehörten zur Unterdorfbande und waren unsere „Feinde“, mit denen wir Kämpfe und Schlachten vereinbarten, aber zu größeren Gemeinschaftsaktionen auch zusammenarbeiteten, zum Beispiel beim Wintersport (s. „Die Schlittenbahn“ und „Skifahren am Bodenberg“), denn nur wir Oberdörfler besaßen geeignete Abfahrten. Außerdem gingen die Unterdörfler vorwiegend in die katholische Volksschule nebenan.

Also, nachdem ich in die Volksschule kam, wollte ich meine Schulfreunde auch zum Geburtstag einladen, denn schließlich wurde ich auch bei ihnen eingeladen. Das Problem war nur, dass mein Geburtstag auf den Heiligen Abend fiel. Die Eltern machten mir bald klar, dass das praktisch unmöglich war. Alle Familienmitglieder, vor allem aber die Mutter, waren an dem Tag beschäftigt, den Weihnachtsabend, die Christvesper und das Festessen mit anschließender Bescherung vorzubereiten. Eine zusätzliche Geburtstagsfeier wäre unmöglich zu organisieren gewesen. Außerdem war das in den Familien meiner Freunde natürlich genauso. Da hätte auch niemand Zeit gehabt, an diesem wichtigsten Feiertag des Jahres, da auch alle Kinder beschäftigt waren noch letzte Geschenke für Eltern und Geschwister zu basteln. Denn das war damals für uns Kinder selbstverständlich, die Geschenke wurden handgefertigt. Kaufen kam nicht infrage, weil wir erstens kein Geld hatten und weil es zweitens auch kaum Geschäfte für so was gab. Auch die Eltern machten vieles für die Kinder selbst. Unser Papa hatte uns Jungs mal eine ganz tolle Burg Windeck aus Holz gearbeitet, die wir aus einer Kiste heraus aufbauen und wieder zusammenpacken konnten. Da haben wir jahrelang mitgespielt und unsere Kinder und Enkel auch.

Also ich hatte rasch kapiert, das ging einfach nicht! In den unmittelbaren Tagen danach ging‘s auch nicht, da machten alle Familien Verwandtenbesuche und erholten sich von den anstrengenden Feiertagen. Also machte mir die Mutter den Vorschlag, meine Geburtstagsfeier und die meines Bruders Jochen, der am 7. Januar geboren war, zusammen zu legen. Das leuchtete mir ein, weil wir praktisch die gleichen Freunde hatten, denn ich hatte ihn schon mit in die Oberdorfbande eingeführt, bevor er selbst in die Volksschule musste. Also wurden fortan unsere beiden Geburtstage immer am 7. Januar gefeiert. Dazu luden wir unsere gemeinsamen Freunde ein: Ada Schneider, Klaus Sprenga, Peter Ewert samt Schwesterchen Annedore, die ihm überall hin folgte, Ernst-Otto Fehn, manchmal auch Peter Koslowsky, wenn er in der Gegend war. Annedore Ewert war die einzige Ausnahme von der Regel, dass Mädchen eigentlich nichts bei uns zu suchen hatten. Aber sie folgte ihrem großen Bruder auf Schritt und Tritt und war im Verhalten von einem Jungen nicht zu unterscheiden.

Alle Gäste kamen am Nachmittag um 15 Uhr gewaschen, geschniegelt und gestriegelt in guten Klamotten anmarschiert und lieferten ihre Geschenke ab, die oft genug zu unserem Leidwesen Gemeinschaftsgeschenke für uns Brüder zusammen waren. Dann folgte die Kuchenschlacht. Die Mutter hatte gebacken wie eine Weltmeisterin: neben zwei Blechen mit Streuselkuchen und Apfelkuchen gab es Gugelhupf, Sandkuchen, Kalter Hund, Schwarzwälder Kirsch, Käsekuchen, Zitronenkuchen und andere mehr. Dazu heißen Kakao, der gewöhnlich aus Care-Paketen aus den USA stammte. Das erste Spiel begann sofort und hieß: Wer kann die meisten Kuchenstücke verdrücken? Der Gewinner bekam einen Preis, eine Glasmurmel zum Beispiel. Ich war meist unter den ersten Drei mit bis zu achtzehn bis zwanzig Stücken Kuchen! Nach dieser Orgie war zunächst eine ruhige Phase angesagt, da alle sich die Bäuche vollgeschlagen hatten und etwas träge wurden. Die Mutter und die Schwestern räumten den Kaffeetisch ab, und es wurden Brettspiele begonnen wie „Mensch ärgere dich nicht“, Halma, Dame, Schach. Das wurde uns aber nach spätestens einer Stunde langweilig, weil das nur zu jeweils Zweien bis Vieren ging und wir doch alle gemeinsam was machen wollten.

Draußen spielen kam bei dem Tiefschnee um diese Zeit nicht infrage wegen der guten Klamotten, die alle anhatten, das hätten die Eltern nicht geduldet. Also Plan B, was immer sehr beliebt war: Verstecken spielen im Haus! Nun war das Pickhardts-Haus in der Schulstraße, in dem wir lebten, sehr groß mit Keller zwei Etagen und Dachgeschoss, und natürlich ging das Spiel durchs ganze Haus. Das war mühsam, spannend und aufregend, aber nach einer weiteren Stunde spätestens ging es ins Fangenspiel über, ebenfalls durchs ganze Haus, wie die berühmte „Wilde Jagd“ durch alle Räume und treppauf, treppab. Das wurde der sehr duldsamen Mutter irgendwann zu viel, und sie verordnete uns den Rückzug aufs Wohnzimmer. Da wir aber schon mächtig angeheizt waren, wurde dort eine zunächst heimliche, dann offene Kissenschlacht daraus. Die endete immer mit großem Geschrei, weil einer von uns verletzt wurde und mindestens blaue Flecke oder eine Beule abbekam und/oder irgendwelche Dekorationsteile des Zimmers zu Bruch gegangen waren, was dann auch noch Ärger mit der Mutter bedeutete. Die griff jetzt endgültig ein, zumal es in der Regel Abendessenszeit war und gruppierte die erhitzte, rotköpfige und kribbelige Bande wieder um den Tisch herum.

Jeder bekam nun einen Teller mit Wiener Würstchen und Kartoffelsalat und durfte die nur noch manierlich futtern. Die Kuchenladung vom Nachmittag war nämlich schon durch die Tobereien verarbeitet. Dazu gab es Milch. Dann mussten sich alle ebenfalls manierlich verabschieden und wurden mit schönen Grüßen an die Eltern nach Hause geschickt. Wir zurückbleibenden Geburtstagskinder mussten natürlich noch zusammen mit Mutter und Schwestern das Zimmer und das ganze Haus wieder aufräumen und saubermachen und uns die heftige Kritik und Schelte der großen Schwestern anhören, die uns ungerechterweise für die vielen kleinen unangenehmen Spuren und Rückbleibsel der Geburtstagsfeier verantwortlich machten. Aber das ließen wir uns den Buckel runterrutschen und freuten uns schon auf die nächste Feier bei einem von unseren Freunden, bei denen die Spiele dann meistens in der günstigeren Jahreszeit draußen stattfanden, was uns der Kontrolle durch die Erwachsenen entzog.

Abenteuerspielplatz Burgruine

 


Falkenweg 3