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Hilflose Wut in der alten Fabrik

Zeitungsartikel | Betriebe | 14.10.1988

Bestürzung in Windeck: Schicksal von „kabelmetal“ trotz dicker Auftragsbücher und Sonderschichten besiegelt

Hilflose Wut in der alten Fabrik

Betriebsrat fühlt sich arg getäuscht – Politiker empört – Ministerpräsidenten eingeschaltet

Von unserem Redakteur Harald Röhrig

ERREGTE DISKUSSIONEN folgten auf die Betriebsversammlung, in der das Aus für die Fabrik verkündet worden war.

Windeck – Das Aus für den Schladerner Zweigbetrieb der Kabel- und Metallwerke Gutehoffnungshütte AG (KMS) ist seit gestern Mittag besiegelt: Vorstandsvorsitzender Jörg Stegmann verkündete die Schließung des Werkes zunächst in einer Betriebsversammlung, wenig später in einer Pressekonferenz. Insgesamt 320 Beschäftigte, die vorwiegend aus der strukturschwachen Gemeinde Windeck kommen, verlieren ihren Arbeitsplatz.

Mit Tränen in den Augen nahmen die Mitarbeiter die Entscheidung des Konzern-Managements zur Kenntnis, die ihnen unverständlich ist, denn wegen prall gefüllter Auftragsbücher werden seit geraumer Zeit sogar Sonderschichten gefahren. In der Versammlung wurden geballte Fäuste gereckt; über der der Brücke, die die Produktionsstätten links und rechts der Sieg miteinander verbindet, weht seit gestern eine schwarze Fahne.

OHNMÄCHTIGE WUT erfüllte viele der 320 Mitarbeiter von „kabelmetal“ in Schladern, nachdem Vorstandsvorsitzender Stegmann ihnen mitgeteilt hatte, daß sie bald ihre Arbeitsplätze verlieren werden.

Seit Jahren rote Zahlen

Der Betriebsrat des Schladerner Werkes macht der Geschäftsleitung schwere Vorwürfe, er fühle sich von ihr „arg getäuscht“. Wie Vertreter der IG Metall sind Betriebsratsmitglieder der Ansicht, daß die Frage, ob der Standort erhalten werden könnte, nicht ausreichend geprüft wurde.

Der Vorstand dagegen sieht keine Möglichkeiten, die Halbzeug-Produktion im Schladerner Betrieb weiterhin laufen zu lassen, in dem seit Jahren rote Zahlen geschrieben werden. Derweil liefen gestern die ersten Aktivitäten von Politikern und Behörden an, die versuchen wollen, die Fabrik über politische Kanäle doch noch zu retten.

Die geplanten Maßnahmen nach der Übernahme der Metallwerke R. & G. Schmöle im sauerländischen Menden – neben der Schließung in Schladern auch Änderungen in Osnabrück und Menden – sieht das Management als folgerichtige und wichtige Schritte zur Erhaltung und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit im Hinblick auf den gemeinsamen Markt 1992 und der in Europa bereits geschehenen Konzentration in der Konzentration in der Halbzeug-Industrie an.

Trotz aller Rationalisierungs-Bemühungen, trotz Investitionen und des hervorzuhebenden Einsatzes der Mitarbeiter in Schladern – dieses sozusagen posthume Lob klang bitter -, sei es nicht gelungen, so Stegmann gestern, die Ertragssituation des Geschäftsbereiches Industrierohre spürbar zu verbessern.

MIT PLAKATEN und einer schwarzen Fahne starteten Mitglieder der Belegschaft erste zaghafte Protestversuche. Viele konnten die Tragweite gestern noch nicht erfassen.

Spätestens am 1. Juli 1989 soll deshalb dieser Geschäftsbereich von Schladern nach Menden verlegt werden, wo Kabelmetall die Fertigung von Industrierohren konzentrieren will. Damit wird das Schladerner Werk II mit 300 Beschäftigten im nächsten Jahr stillgelegt – wann genau, das konnte oder wollte man nicht sagen.

Die übrigen Mitarbeiter, die im Werk I vor allem Großrohre produzieren, verlieren 1990 ihren Arbeitsplatz, wenn auch dieser Produktionszweig nach Osnabrück und Menden verlegt wird. Wneig Erfolgsaussichten räumte Stegmann Überlegungen ein, andere Fertigungen aus der Kabelmetall- oder der MAN-Gruppe nach Schladern zu verlegen.

Über einen Interessenausgleich und einen neuen Sozialplan – der alte läuft zum Jahresende aus und war laut Stegmann nie für den Fall einer Schließung vereinbart – soll in den nächsten zwei bis drei Monaten verhandelt werden. Jedem Beschäftigten werde der Konzern, so betonte der Vorstandsvorsitzende, Hilfestellung gegeben, falls er sich dazu entschließt, einen Ersatzarbeitsplatz in Menden oder Osnabrück anzunehmen.

Laut Stegmann können in diesen Werken rund 200 Arbeitsplätze angeboten werden, die neu geschaffen oder wegen der Fluktuation und dem Auslaufen befristeter Verträge angeboten würden. Hilfe könne zum Beispiel beim Umzug oder bei Wohnungs- und Finanzierungsproblemen geleistet werden. Schwere Vorwürfe erhob Betriebsratsvorsitzender Paul Cornely gegen die Geschäftsleitung.

Der Betriebsrat, überrollt von den Ereignissen, sehe sich arg getäuscht. Die Firmenleitung habe ein böses Spiel getrieben, denn sie habe im August und noch vor 14 Tagen erklärt, daß es zur Zeit keine Änderungskonzepte für KMS gebe.

DIE HIOBSBOTSCHAFT wurde gleich von zwei Vorstandsmitgliedern in Schladern überbracht: Norbert Brodersen und Jörg Stegemann, dazu Geschäftsbereichsleiter Klaus Streit (von link).

Cornely äußerte die Vermutung, daß das Schladerner Werk sozusagen als Draufgabe zum Kaufpreis für Schmöle geopfert werde: „Wir werden diesen Schritt nicht einfach hinnehmen und zur Tagesordnung übergehen. Ich bin überzeugt davon, daß wir Mittel und Wege finden, den Vorstand dazu zu bringen, diese Entscheidung noch einmal zu überdenken.“ Die Standortvorteile wie die Erzeugung von250 Kilowattstunden Strom, die Brauchwasserrechte an der Sieg und eine komplett qualifizierte Mannschaft seien nicht von der Hand zu weisen.

Es sei nicht ausreichend geprüft worden, ob diese Produktion oder eine veränderte doch mit einem vernünftigen wirtschaftlichen Ergebnis fortgeführt werden könne, erklärte Michael Leßmann von der IG Metall. Bevor man über einen Sozialplan verhandele, müßten deshalb alle Alternativen überdacht werden. Stegmann warnte indes davor, der Belegschaft falsche Hoffnungen zu machen. In den vergangenen Jahren seien alle derartigen Versuche gescheitert.

„Hier wird still gestorben“

Im Windecker Ländchen löste die Bestätigung von der Schließung des Werkes Bestürzung aus. Bürgermeister Adolf Wienand (SPD) bezeichnete das Aus als Todesstoß für die Gemeinde, er erwägt, den Rat zu einer Sondersitzung einzuberufen.

Gemeindedirektor Peter Stadermann forderte Ministerpräsident Johannes Rau in einem Schreiben auf, sich dafür einzusetzen, daß die Stillegung verhindert oder der Vollzug deutlich gestreckt werde.

Darüberhinaus soll Rau die Bemühungen der Gemeinde zum Ausbau des Fremdenverkehrs unterstützen. „Das Ruhrgebiet krepiert – aber auf dem Land wird still gestorben,“ schrieb Stadermann. CDU-Fraktionschef Jürgen Seidel bat den CDU-Bundestagsabgeordneten Adolf Herkenrath um Hilfe und richtete auch einen Brief an Landrat Dr. Franz Möller, der gestern abend von der SPD im Kreistag allerdings als „Show“ kritisiert wurde.

Quelle: Rhein-Sieg-Anzeiger Nr. 241 / ST 13 vom 14. Oktober 1988

Alle Bilder: Harald Röhrig


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