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Schwarze Fahne weht am Werktor

Zeitungsartikel | Betriebe | 14.10.1988

Arbeiter folgen ratlos und stumm der Betriebsversammlung

Schwarze Fahne weht am Werktor

„kabelmetal“ wird bis 1990 völlig aufgelöst

Ratlosigkeit und Resignation bei 320 Mitarbeitern von „kabelmetal“ in Schladwern gestern mittag nach der Betriebsversammlung, bei der ihnen das Stillegungskonzept präsentiert wurde.

olt Windeck. „Prägen Sie sich diese Gesichter ein“, rief Dieter Steinhauf dem Vorstand von „kabelmetal“ zu. „Das sind die Gesichter der Menschen, die Sie für höhrere Profite um ihren Arbeitsplatz bringen!“ Der verzweifelte Ausruf des Stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden gehörte zu den wenigen Momenten in der Belegschaftsversammlung, in denen es laut wurde. Meist schweigend, kopfschüttelnd, resignierend, verfolgten die 320 Mitarbeiter des Schladerner Zweigbetriebes der Osnabrücker Kabel- und Metallwerke Gutehoffnungshütte AG den Bericht des Vorstandsvorsitzenden Jörg Stegmann.

Eine schwarze Fahne weht über dem Werksgelände – so drückten die Arbeiter ihre Trauer über den Verlust ihrer Arbeitsplätze aus.

„Komplett negative Informationen“ kündigte der Unternehmenschef zu Beginn seiner rund 30minütigen Rede an und fügte hinzu: „Alle betriebswirtschaftlichen Erwägungen, die ich hier vortrage, werden Sie natürlich nicht befriedigen.“ In der großen Werkshalle mit Stühlen und langen Heizkisten zum provisorischen Versammlungsraum umgebaut, war es absolut still, als Jörg Stegmann die Entscheidung des Vorstands zu rechtfertigen versuchte:

Seit 20 Jahren habe die AG erhebliche Probleme mit der Ertragskraft des Schladerner Werkes. 1978 sei zum ersten Mal überlegt worden, das Werk an der Sieg stillzulegen oder umzustrukturieren. Damals sie die Entscheidung gefallen, durch Investitionen und Produktionszusammenlegungen zu versuchen, die Produktion zu retten. Allein in den vergangenen fünf Jahren habe das Unternehmen 14 Millionen DM in Schladern investiert. Dies sei geschehen bei einem Abschreibungswert von 9 Millionen DM. Dennoch seien fortwährend „Barverluste erwirtschaftet“ worden.

Nur noch bis zum Jahresende 1989 wird in den neuen Werkhallen in Schladern produziert. Danach übernimmt die R & G Schmöle GmbH in Menden/Sauerland die Fertigung der Industrierohre für „kabelmetal“.

„Unsere Rationalisierungserfolge sind von den Kostensteigerungen und von den Tarifvereinbarungen aufgefressen worden“, erklärte Stegmann der Belegschaft. Aus eigener Kraft wäre der Sprung in die Gewinnzone in den nächsten zwei Jahren nach Berechnungen der Konzernleitung nicht zu schaffen. Mit der Übernahme der Mendener R & G Schmöle Metallwerke GmbH biete sich die „einmalige betriebswirtschaftliche Chance, an einem Standort zwei Industrieröhrenwerke zusammenzulegen“. Im Klartext: 1989 wird das Werk II in Schladern stillgelegt; die gesamte Schladerner Industrierohrfertigung wird in den neuen „kabelmetal“-Geschäftsbereich Industrierohre in Menden/Sauerland verlegt.

Von dieser Rationalisierungsmaßnahme, die voraussichtlich im Laufe des Jahres Stück für Stück vollzogen wird, sind etwa 280 Arbeitnehmer betroffen. 1990 wird der letzte Teil der Produktion im Werk I in Schladern aufgegeben. Die Großrohre sollen sodann in Osnabrück und in Menden hergestellt werden. Von diesen Veränderungen sind weitere 50 Mitarbeiter betroffen.

„Detaillierte Zeitpläne dür die Umstrukturierungen und den Abbau der Arbeitsplätze gibt es noch nicht“, sagte Stegmann. Aufkeimende Hoffnungen, Ersatzarbeitsplätze könnten in Schladern geschaffen werden, trat der Vorstandsvorsitzende mit den Worten entgegen: „Es gibt keine Produktion, die man hierher verlegen kann“. Nachfragen im Unternehmen seien erfolglos geblieben. „kabelmetal“ sagte jedoch allen Unternehmern ihre uneingeschränkte Unterstützung zu, die in den Schladerner Werkshallen einen Betrieb einrichten wollten.
Mit einem für beide Seiten tragbaren Sozialplan will „kabelmetal“ nach den Worten des Vorstandsvorsitzenden die Schließung in Schladern für die Betroffenen „erträglich machen“. In die Versorgungsregelungen sollen auch Hilfen für die Werksangehörigen aufgenommen werden, die vom Angebot der Arbeitgeber Gebrauch machen, einen von 200 Arbeitsplätze in Menden oder Osnabrück anzunehmen. Diese Ersatzanstellungen sein „aus Gründen der Fluktuation und des Auslaufens befristeter Arbeitsverträge“ möglich. Zum Teil werde die Unternehmensleitung auch neue Arbeitsplätze schaffen, kündige Stegmann in seiner Rede an.

Unter den Beschäftigten stieß dieses Angebot auf breite Ablehnung. „Die meisten haben sich hier doch ein kleines Häuschen gebaut, haben sich für ein bißchen Eigentum jahrelang krummgelegt, und jetzt sollen wir das alles aufgeben“, kritisierte etwa Dieter Quartz (43), der seit fast 25 Jahren in Schladern als Kranführer beschäftigt ist. Horst Behnke (49), Rohrzieher, meinte: „Ich habe schon eine Unternehmenspleite mitgemacht, bei der ich meine Arbeit verloren habe. Die gleichen Versprechungen habe ich damals auch gehört.“

IG-Metall-Bezirkssekretär Michael Leßmann kritisierte das Konzept der Unternehmensleitung als „Ausbluten-lassen einer ganzen Region“. Diese Veränderungen griffen auch voll in das Leben der Gemeinde Windeck ein; Geschäftsleute hätten weniger Einnahmen zu erwarten, die Gemeinde müsse Steuereinbußen hinnehmen, und das Vereinsleben sei in Gefahr. Die angekündigte Betriebsschließung sei betriebswirtschaftlich sicher sinnvoll, aber das Unternehmen habe nicht nur die Verantwortung für die „Couponschneider und Aktienbesitzer, die in diesem Jahr 12 Prozent Dividende erwarten, sondern auch für die Belegschaft“.

Unverständnis und Enttäuschung über die geplante Stilllegung brachte der Betriebsratsvorsitzende Paul Cornely zum Ausdruck. Er sein „on den Ereignissen“ überrollt worden. Noch voriges Jahr habe die Geschäftsleitung Konzepte zur Sanierung der Werke in Schladern vorgelegt und in den ersten drei Monaten des Geschäftsjahres 1988 habe sich die Ertragslage auch wesentlich gebessert. Bei der Betriebsversammlung im Juli habe Klaus Streit von der Geschäftsleitung allen Mut gemacht und die Erfolge des Unternehmens unterstrichen. Über die Übernahme der Mendener Firma und über die zu erwartenden Konsequenzen sei er vom Vorstand im unklaren gelassen worden, sagte Cornely. „Ich bin überzeugt davon, daß der ‚kabelmetal‘-Vorstand zum Kaufpreis die Produktionserweiterung als Dreingabe angeboten hat“, meinte der Betriebsratsvorsitzende. Trotz der Absage der Geschäftsleitung werde der Betriebsrat in den nächsten Tagen alternative Nutzungsmodelle für Schladern erarbeiten. Wenn die Geschäftsleitung diese Pläne nicht zur Kenntnis nehme, werde die Belegschaft Mittel und Wege finden, den Vorstand zu einem Entgegenkommen zu zwingen.

Pressekonferenz bei „kabelmetal“ in Schladern (von links nach rechts): Produktionsleiter Helmut Bestgen, IG-Metall-Sekretär Michael Leßmann, Betriebsratsvorsitzender Paul Cornely und der Stellvertretende Vorsitzende des Betriebsrats, Dieter Steinhauf. Foto: Mischka

Die Mitarbeiter von „kabelmetal“ waren gestern in weniger kämpferischer Laune. „Wenn die da oben beschließen, das Werk stillzulegen, was können wir da schon machen“, formulierte eine der Noch-Beschäftigten resignierend.

„Ich und Du = Wir“ stand vor Jahren einmal über dem Werktor der Schladerner Fabrik – ein Spruch, der die Arbeiter zu höheren Leistungen motivieren sollte. „Ich und Du = Wir, so war es früher einmal hier und heute bluten wir“, schrieben Belegschaftsmitglieder gestern auf ein Plakat und stellten es mit einer schwarzen Fahne auf der Brücke über die Sieg auf, die zu „kabelmetal“ führt.

Pressekonferenz bei „kabelmetal“ in Schladern: der Vorstandsvorsitzende der Kabel- und Metallwerke Gutehoffnungshütte AG in Osnabrück, Jörg Stengemann (links), und der Leiter des Geschäftsbereiches Industrierohre in Schladern, Klaus Streit (rechts). Foto: Mischka

An einen neuen Anfang im Schladerner Werk möchte keiner der angesprochenen Arbeiter glauben. Die meisten fühlen sich allein gelassen. „Nicht einmal der Bürgermeister oder der Gemeindedirektor sind heute hier, um sich nach dem Schicksal des Werkes zu erkundigen“, formulierte ein Kranführer aus Rosbach seine Kritik.

Quelle: Rhein-Sieg Rundschau vom 14. Oktober 1988

 


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