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Im Schulbus

Text | Personen, Schulen | 01.07.1954

Im Schulbus

von Frieder Döring

Zu den interessantesten und spannendsten Dingen der Gymnasialzeit in Waldbröl gehörte der Schulbus. Das war damals in den 1950er Jahren keineswegs ein Bus nur für Schüler, sondern ein planmäßiger Postbus für jedermann, den wir Schladerner Schüler jeden Morgen um 6:20 Uhr besteigen mussten, um rechtzeitig zum Unterrichtsbeginn um 7:30 Uhr in der Schule zu sein. Morgens stiegen in diesen Frühbus tatsächlich vorwiegend Schüler ein, außer an Waldbröler Viehmarkts-Tagen. Mittags, wenn wir wieder nach Hause fuhren, war der Bus rappelvoll mit Frauen, die vom Einkaufen zurückkamen. Und das hieß, dass wir Schüler stehen mussten, denn es war damals selbstverständlich, dass alle Jüngeren vor den Älteren im Bus aufstanden. Passierte das mal nicht spontan und schnell, wurde man von den Erwachsenen an den Ohren vom Sitz hochgezogen.
Das morgendliche Schulbusritual vollzog sich bei uns Dörings-Geschwistern regelmäßig wie folgt: Um 5:30 wurden wir von der Mutter geweckt.

Da ich immer Hunger hatte, erschien ich eine Viertelstunde später als erster am Frühstückstisch, dann folgte mein Bruder Jochen, dann die Schwester Inge und zum Schluss die älteste Schwester Anne. Vom Frühstückstisch weg zum Schulbus ging‘s anders rum: Zuerst rannte die fleißige Anne die 100 Meter zum Bahnhof, danach der kleine Jochen hinter ihr her, danach die Inge, die sich die Jacke noch auf dem Weg überzog und zum Schluss ich mit dem letzten Butterbrot im Mund, während der Bus zur Abfahrt hupte und oft schon langsam anfuhr. Waren wir einmal drin, kannten wir Geschwister uns nicht mehr. Im Bus herrschte dann ein strenges Regiment: Die Oberstufenschüler saßen in der letzten Reihe. Hinter ihnen war der vergitterte Gepäckraum, da der Postbus auch Gepäck vom Schladerner Bahnhof nach Waldbröl transportierte. Hinter dieses Gitter wurden die kleineren Schüler von den größeren gesperrt, wenn sie mal nicht gehorchten oder wenn der Bus mittags zu voll wurde. Auch der Busfahrer war streng autoritär. Wenn ein Schüler sich daneben benahm oder nicht parierte, wurde er auf offener Strecke rausgeschmissen und durfte zu Fuß nach Hause laufen. Ja, es gab einzelne Fahrer, die auch das Karten spielen streng unterbanden, da es im pietistischen Waldbröl als Sünde galt.

Meine Hauptbeschäftigung im morgendlichen Bus war das Erledigen der restlichen Hausaufgaben, die ich am Mittag davor nicht mehr geschafft hatte, weil ich ganz dringlich wichtigere Aufgaben erledigen musste, wie mit den Kumpels Angeln oder Sprengen gehen und ähnlich Unaufschiebbares! Dazu wurde erst mal ein Vergleich gezogen mit den Klassenkameraden Klaus aus Rosbach und Albert aus Gierzhagen, die zustiegen und die jeweils andere Aufgabenteile bereits fertig hatten. Die fertigen Aufgaben wurden untereinander abgeschrieben und die noch nicht fertigen wurden gemeinsam gelöst. Wenn dazu die Zeit im Bus nicht mehr reichte, blieb uns noch eine gute halbe Stunde im Aufenthaltsraum der Schule übrig, die alle Fahrschüler dort gemeinsam verbrachten bevor der Unterricht anfing. Und natürlich waren fast alle dabei mit den Hausaufgaben vom Vortag beschäftigt. Und das war auch gut so und wurde vom Aufsichtslehrer eher gern gesehen, denn wenn wir Jungs nichts Wichtiges zu tun hatten, fingen wir an, uns zu prügeln.

So ergab es sich dann auch oft im Mittagsbus bei der Rückfahrt. Wenn wir nicht gerade dicht gedrängt stehen mussten, spielten wir mit Vorliebe heimlich Skat um Klicker oder Knöpfe. Das war aber offiziell total verboten, was den Spaß daran enorm erhöhte. Aber regelmäßig kam es während des Spiels zu Streitereien über Pfuschen und Kiebitzen und dergleichen, wodurch die Stimmen lauter und die Entdeckungsgefahren größer wurden. Meist griffen dann die Oberstufenschüler von der Hinterbank ein und beförderten zwei, drei Schreier von uns ruck-zuck in den vergitterten Gepäckraum ganz hinten. Dann war wieder Ruhe. Wenn wir aber im Gang stehen mussten, machten wir uns einen Spaß daraus, uns zu schubsen oder bei den vielen Kurven der Westertstraße uns übertrieben weit auf die Seite zu legen, sodass wir den dicken Hausfrauen mit ihren dicken Einkaufstaschen fast auf den Schoß flogen. Die zeterten dann mit uns rum, und wir hatten was zu lachen.

Das änderte sich alles, als wir in die Mittelstufe kamen. Wie durch ein Wunder stellten wir da plötzlich fest, dass es auch Mädchen gab und dass solche äußerst merkwürdigen Wesen tatsächlich auch in unserem Bus mitfuhren und oft ganz interessant aussahen. Jetzt verlor das Skatspiel seinen Reiz und das Ärgern von den Mädchen sowie allerhand Clownerien, um ihre Aufmerksamkeit zu erhaschen, drang in den Vordergrund unserer Bemühungen. Das nahm zeitweise so unsere ganze Kreativität in Beschlag, so dass selbst das Hausaufgaben machen im Bus in Vergessenheit geriet. Diese Entwicklung schlug sich nun leider bald auf die Noten und Zeugnisse nieder, was uns in diesem Alter allerdings wenig kratzte, die Eltern dafür umso mehr. Und so schlidderten wir nach und nach und mehr oder weniger holprig in die Oberstufe und damit auf die Hinterbank des Schulbusses und übernahmen die Aufgabe, die Kleineren unter Kontrolle zu halten und notfalls im Gepäckraum einzusperren.

 


Falkenweg 3