Skip to main content

Ritterkämpfe

Text | Dorfgeschichten, Personen | 01.07.1950

Ritterkämpfe

von Frieder Döring

Eine der Lieblingsunternehmungen der Oberdorfbande Anfang der 50er Jahre waren Ritterspiele an und in Burg und Schloss Windeck. Damals stand neben der Burgruine der sogenannten „Neuen Burg Windeck“ auch noch die Ruine des Schlosses von 1860. Dieses war im 19. Jahrhundert vom Landrat Danzier aus Waldbröl erbaut worden, wurde von seiner Tochter Arnoldine und ihrem Mann Andrea Caminneci erweitert und Ostern 1945 von der amerikanischen Artillerie von Obersaal aus in Brand geschossen. Es stand als Ruine noch bis 1961 da und wurde dann leider bei der ersten ziemlich unsachgerecht durchgeführten Renovierung der Burg mit abgerissen. Zur Zeit unserer Ritterspiele war die Schlossruine jedenfalls noch ein wichtiger Bestandteil unserer Mittelalterkulisse. Stark angeregt worden waren unsere Abenteuer auf der Burg durch die erste Theateraufführung 1950 von dem Theaterstück „Der Graf von Windeck“, das der Windecker Lehrer Johann Portugall verfasst hatte. Da waren wir Schulkinder als Statisten und Helfer mit eingesetzt worden und hatten danach das Bedürfnis, diese Rittergeschichte mit eigenen Ideen weiter auszubauen und in hundert Variationen nachzuspielen.

Dazu rüsteten wir uns natürlich auch als Ritter aus. Klar, die Schwerter, Dolche, Spieße, Hellebarden und Morgensterne bastelten wir uns selber aus Holz. Schwieriger war es mit der Ritterrüstung. Dafür beschafften wir uns aus alten Klamotten der übrigen Familie, die sehr selten waren, weil fast alles weiter verwertet wurde, geeignete Stücke wie verwegene Hüte, dunkle Umhänge, Stulpen für Arme und Beine. Wenn wir Glück hatten, erwischen wir sogar noch originale Uniformstücke aus dem Ersten oder Zweiten Weltkrieg mit Epauletten oder sogar Ordensspangen dran. Das war Spitze, und die so ausgestatteten Ritter wurden Heerführer, Marschälle, Grafen! Natürlich mussten wir die auf diese Weise akquirierten, andere sagten stibitzten, Requisiten erst in Rucksäcken zum Spielort transportieren und dazu auch noch diverse Futteralien, denn zu Hause erzählten wir, dass wir eine Wanderung mit Picknick machen wollten.

Wanderung galt bei den Eltern als was Sinnvolles. Zur Tarnung, um nicht des groben Jungen-Unfugs verdächtigt zu werden, nahmen wir meist noch die kleine Annedore mit, weil mit so ?nem kleinen Mädchen sah alles harmloser aus, und an der Burg angekommen, konnten wir sie prima als Burgfräulein oder Prinzessin gebrauchen. Außerdem wussten wir, dass sie den Eltern gegenüber den Schnabel hielt, egal was wir für einen Blödsinn gemacht hatten, denn sie wollte auch weiterhin bei unseren Jungen-Abenteuern dabei sein.

Am Schauplatz Burg und Schloss angekommen wurden dann die Rollen verteilt: Der alte Graf Konrad, seine Tochter, die Prinzessin Bertha, ihr Freier, der Ritter Heinrich, und natürlich der übrige Hofstaat und die heimlichen Helfer des Liebespaares dazu, soweit wir aktive Schauspieler dabei hatten. Für manche Statistenrolle musste dann auch mal ein Baum oder Strauch herhalten nach dem Motto: „Und das wäre jetzt der Turmwächter“. Danach wurde die Geschichte des Grafen von Windeck abgespielt mit vielen Ergänzungen und zusätzlichen Dramen. Dann kam es auch zu dem gefährlichen Ritt des flüchtenden Paares Richtung Otterstein, der allerdings am Einschnitt durch die tiefe Schlucht, die der Eisenbahnbau dort erzeugt hatte, unterbrochen wurde.

Das machte eine Regieänderung erforderlich: statt des tödlichen Sprunges in die Fluten der Sieg, den die Sage vorschreibt, drehten sich bei uns die Verfolgten um und stürmten mit ihren Begleitrittern nun gegen die Verfolger an. Es kam zur grausamen Ritterschlacht! Die machte auf dem schmalen Grat oberhalb des Einschnittes, wo es nach drei Seiten steil abwärts ging und sehr unsicher war, den meisten Spaß wegen der realen Gefahren um einen herum. Es wurde gefochten, gehauen, gestoßen, gerungen, und auch die Prinzessin Bertha war mittenmang dabei. Das dauerte so eine halbe Stunde, dann stand meist die Siegerpartei fest, nachdem sie ihren Gegnern alle Waffen abgenommen hatte. Und wir trotteten zurück zu Schloss und Burg.

Dort wurde als nächstes Burgbelagerung und -besetzung durchgespielt. Dabei kam es drauf an, die tollsten Kletterpartien vorzuführen: Auf den Bergfried rauf, die Palaswand hoch, an der Schlossruine auf bröckeligen Mauerresten in die obere Etage klettern, deren finsteren Kellergewölbe durchstöbern und schließlich, als größte Heldentat, von der Burgküche aus in die dunkle Höhle reinmarschieren bis an deren Ende, das angeblich nur verschüttet war und ursprünglich der Fluchtweg bis nach Schladern gewesen sein sollte. Das alles ohne Lichter, Taschenlampe oder Streichhölzer, Mutprobe eben. Und da zeigte sich dann eine weitere wichtige Funktion für die kleine Annedore: Vor ihr konnte man sich hervorragend produzieren als Held und Ritter, sie bestaunte und bewunderte alle die großen Jungens und ihre phantastischen Leistungen.

Nach zwei, drei weiteren Kriegsspielen kam dann die gemeinsame Siegesfeier aller Parteien dran. In einem abgelegenen Eckchen im Souterrain der Schlossruine wurde ein kleines Feuerchen entfacht und die mitgebrachten Brote und Kartoffeln geröstet und mit großem Appetit gefuttert. Dazu gab‘s Wasser oder manchmal auch Malzbier, wenn Annedore und Peter das aus den gastwirtschaftlichen Beständen ihrer Eltern hatten „entleihen“ können. Wenn wir dann zum Abendessen zufrieden und müde nach Hause kamen, wunderten die Eltern sich manchmal, dass wir nach so ‘ner langen Wanderung nur so wenig Hunger hatten.

 


Falkenweg 3