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Rauchen lernen

Text | Schulen | 01.07.1953

Rauchen lernen

von Frieder Döring

Das war für uns Jungs eine genauso ernste und wichtige Angelegenheit wie das Schwimmen lernen und das Fahrradfahren lernen. Während diese beiden lebensnotwendigen Fähigkeiten uns vorwiegend von den älteren Schwestern schon im Alter von etwa sechs Jahren beigebracht wurden, mussten wir das Rauchen erst im gereifteren Alter von acht bis zehn Jahren von den älteren Jungen in der Volksschule lernen. Ja, der Rauch-Unterricht spielte sich bei mir in der Schule ab, und zwar auf dem Schulklosett. Das lag als kleines Ziegelhäuschen ein Stück weit vom Schulgebäude entfernt vor dem Schulgarten und hatte natürlich zwei Abteilungen, eine für Jungens, eine für Mädchen. In der Männerabteilung gab es wie überall einen Vorraum mit den Urinalen oder Pissoires, wie man damals sagte. Denn Männer mussten ja traditionsgemäß im Stehen pinkeln, alles andere wäre weibisch und undenkbar gewesen. In diesem Vorraum zündeten sich die größeren Burschen aus der vierten bis achten Klasse demonstrativ ihre Zigaretten an, um damit anzuzeigen, dass sie schon Männer waren. Uns Kleineren ab dem dritten Schuljahr wurde hin und wieder, wenn wir brav bitte, bitte sagten, gnädig erlaubt, mal vorsichtig dran zu ziehen. Bei mir war es unser Nachbarsjunge Wolfgang Schuhen, der mir die Gnade erwies, meinen ersten Zug zu tun. Der brachte mich gleich zum Husten, und schwindelig wurde mir auch.

Aber der Wolfgang hatte mir schon erklärt, dass es einem am Anfang komisch wurde dabei, dass man das aber unterdrücken müsse, wenn man ein Mann werden wolle. Und ein Mann wollte ich natürlich werden, also zog ich noch mal kräftig dran und musste Husten bis ich fast kotzte. Der Wolfgang hat mich ausgelacht. Da hab‘ ich mir dann vorgenommen, das richtig zu lernen und dann habe ich mit meinen Kumpels von der Oberdorfbande fleißig geübt in unseren diversen Höhlen, Steinbrüchen, Burgruinen und ehemaligen Bergwerken, die wir uns zu unseren geheimen Treffpunkten und Rückzugsfestungen ausgebaut hatten. Dort drehten wir uns dann selber Zigaretten aus Zeitungspapier und getrockneten Brombeerblättern in Ermangelung von Tabak. Die schmeckten scheußlich, dienten aber wirksam dazu, sich den Husten- und Brechreiz abzutrainieren. Als ich dann später mit meinem Tinte-Trinken und Kristalle-Züchten (siehe „Der Drogist“) gelegentlich etwas Geld verdiente, konnte ich mir ab und zu eine Sechserschachtel „Eckstein“ oder „Ernte“ am Automaten ziehen. Die kosteten damals nämlich nur fünfzig Pfennige, und die verteilte ich großzügig unter die Krieger der Oberdorfbande, wenn uns wieder mal eine besondere Aktion oder großer Waffenfund gelungen war (siehe „Ritterspiele“).

Dann, als mein jüngerer Bruder Jochen das Initiationsalter von acht Jahren erreicht hatte, sah ich es als meine Pflicht an, ihn auch in die Mannbarkeitsriten des Rauchens einzuweihen, erklärte ihm den Vorgang und seine anfänglichen Folgen ganz genau und ließ ihn ein paar Mal bei mir ziehen, was ihm gar nicht gefiel. Aber im nächsten Schritt musste er unter meinem Kommando dann noch eine halbe Zigarette von mir zu Ende rauchen, was er unter Protest schließlich auch schaffte. Dann hustete er fürchterlich, wurde grün im Gesicht und rannte ins Gebüsch um zu reihern. Danach schwor er mir und sich selbst, nie mehr eine Zigarette anzupacken, woran er sich auch lebenslang gehalten hat. Ich habe dann noch einmal versucht, diesem vermeintlichen Lehrauftrag gerecht zu werden, und habe bei meinem Schulfreund Wolfgang aus Waldbröl die gleiche Methode angewendet wie bei meinem Bruder. Das Ergebnis war auch das gleiche. Und beide sind mir noch heute dankbar dafür, während ich rund sechzig Jahre brauchte, um zum selben Ergebnis zu kommen.

 


Falkenweg 3