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Obstpatsche Klein

Text | Personen | 01.01.1935

Von Holger Klein

Noch vor Beginn des Zweiten Weltkrieges hatte sich jenseits der Bahnlinie
nicht nur Elmores und Holz Langen angesiedelt, sondern – was heute
vielen nicht mehr bekannt sein dürfte – auch eine Süßmostkelterei. Der
Bellinger Martin Klein (1899 – 1964) betrieb in der heutigen Bahnstraße
eine Obstkraut- und Geleefabrik, im damaligen Sprachgebrauch
„Apfelpatsche“ genannt. Martin Klein war ein Landwirt auf den Windecker
Höhen und führte den bereits 1868 in Bellingen von seinem Onkel
gegründeten Obstbetrieb parallel zu seinem Bauernhof. Rheinisches Kraut
aus Äpfeln und Birnen, Apfelsaft, aber auch Wein und Konfitüren gehörten
zur Produktpalette der Obstkrautfabrik Klein.

Der Betrieb florierte, von allen Himmelsrichtungen brachten die Bauern ihr
Obst. Geld floss dafür übrigens nur selten, die meisten Anlieferer ließen
sich lieber in Naturalien bezahlen und nicht selten wurde die erste Flasche
Wein bereits auf der Heimfahrt geleert. Mitte der 1930er Jahre wurde der
Betrieb auf dem Bauernhof in Bellingen zu klein und Martin Klein sah sich
nach einem neuen Standort für seine „Patsche“ um. Seine erste Wahl war
Rosbach, auf dem Gelände der heutigen Hermes-Hallen kaufte der
geschäftstüchtige Landwirt ein Grundstück und wollte dort eine komplett
neue Krautfabrik errichten. Doch bevor der erste Spatenstich in Rosbach
getan war, bekam Klein ein verlockendes Angebot aus Schladern: Gleich
neben der Bahnstrecke, neben dem Landwirtschaftshandel Höffer in der
heutigen Bahnstraße, wurde ein bereits fertiges Fabrikgebäude frei. Klein
überlegte nicht lange, nahm das Angebot an und siedelte im Jahr 1936 mit
seinem Betrieb von Bellingen nach Schladern um. Der Verwaltungssitz der
Patsche blieb zwar in Bellingen, doch produziert wurde fortan an der Sieg.
Das Obstgeschäft war verständlicherweise ein eher saisonales Gewerbe –
im Herbst rollten die Äpfel und Birnen lastwagenweise durch Schladern
und es wurde Tag und Nacht gepresst, gekeltert und gekocht. Im Drei-
Schichtbetrieb ging es im Herbst zur Sache. Meterhoch türmten sich die
Äpfel, die über eine Wasserstraße zur Presse transportiert wurden. Es
dampfte und roch noch weit über das Fabrikgelände hinaus nach
gekochtem Obst. Bis zu 12 Arbeiter waren damals mit der Verarbeitung
des angelieferten Obstes beschäftigt. Danach wurde die Rohware
eingelagert und im Laufe des Jahres für den Verkauf verarbeitet. Apfelsaft
und -wein wurden in 2000 Liter fassende Tanks und 25 Liter-Ballons
gelagert, die Krautrohware wartete in großen Holzfässern auf die Käufer.
Konfitüre und Gelee wurden in großen Kupferkesseln gekocht. Die fertige
Ware ging überwiegend in den Großhandel und wurde von den Händlern
an die Lebensmittelmärkte der Region verteilt. Das Kraut übrigens nicht in
kleinen Gläsern, sondern in 2,5 bis 10 Kilo fassenden Gebinden.
Die gepressten Obstreste, der Trester (damals Quasen genannt) wurden
nicht weggeworfen, sondern die ansässigen Bauern rissen sich um den
„Abfall“, weil er eine sehr wohlschmeckende Winternahrung für die Kühe
war. Anhängerweise gingen die Überreste an die Bauernhöfe in der Region
– eine klare Win-Win-Situation: Martin Klein sparte sich die Kosten für die
Entsorgung, die Bauern freuten sich über das Winterfutter.
Für seinen Apfelsaft hatte sich Klein den Namen „Apfelmeister“
ausgedacht – und das entsprechende Etikett sogar beim Patentamt in
München schützen lassen. Schon damals waren den Käufern die Reinheit
und der regionale Bezug wichtig, so stand auf dem Etikett ausdrücklich,
dass „keine Chemie“ bei der Veredelung des Obstes benutzt wurden. Bei
guten Obstjahren, und das kam damals häufig vor, stauten sich die
Fahrzeuge bei der Anlieferung in der Bahnstraße. Handkarren,
Pferdekutschen, Lastwagen und Anhänger reihten sich ein, um ihr Obst
dem „Apfelmeister“ zu bringen.


Im März 2019 las Martin Kleins elfjährige Urenkelin Lara bei einer Veranstaltung von Windeck im Wandel im Kulturzentrum kabelmetal die Geschichte der Obstpatsche vor. 

Martin Klein wohnte mit seiner Frau Emilie weiterhin in Bellingen,
insbesondere bei den heftigen Wintern damals war er nicht täglich in
seinem Schladerner Betrieb. Dass das Geschäft trotzdem weiter lief, dafür
sorgte sein einziger festangestellter Mitarbeiter Herbert Quell. Zusammen
mit seiner Frau wohnte er auf dem Firmengelände und kümmerte sich bis
zu seinem Wegzug ins Ruhrgebiet um die Patsche. Die Produktionsmenge
wurde von Jahr zu Jahr erhöht, das Geschäft mit den Äpfeln und Birnen war
zu einem festen Bestandteil des Firmenstandorts Schladern geworden – bis
Martin Klein völlig überraschend Anfang des Jahres 1964 an einem
Herzinfarkt bei der Waldarbeit starb.


Moderator Jürgen Orthaus interviewte Lara

Der plötzliche Tod des Firmenchefs traf seine Angehörigen unvorbereitet,
sein Sohn, Wilhelm-Martin Klein, hatte zwar sein Wohnhaus gleich neben
dem Schladerner Firmenstandort gebaut, er arbeitete jedoch als
Bankkaufmann in Eitorf. Das Jahr 1963 war ein sagenhaftes Obstjahr,
folglich waren nicht nur die Lager der „Patsche“ voll mit Rohware, die
verarbeitet werden wollte, auch die Anlieferer wollten ihre Gutscheine
einlösen, die sie für ihr Obst bekommen hatten. Für Wilhelm-Martin Klein
und seine Frau Margrit stellte sich nun die schwere Frage, ob sie den
Betrieb weiterführen oder abwickeln sollten. Wilhelm-Martin entschied sich
dafür, in seinem gelernten Beruf zu bleiben und die Obstfabrik schweren
Herzens aufzulösen. Die Abwicklung war ein Kraftakt, der das ganze Jahr
1964 in Anspruch genommen hat. Erst die Produktion und der Verkauf der
Ware, dann die Veräußerung des Firmeninventars und des Gebäudes
kostete viel Zeit und Kraft. Neuer Besitzer der Firmenhallen wurde der
Dattenfelder Dieter Schmidt, der im Anschluss jahrzehntelang mit seiner
Firma Siegplastik in der Schladerner Bahnstraße beheimatet war. Im
Nachhinein war die Abwicklung der „Patsche“ die richtige Entscheidung,
die kleinen Saftfabriken hatten in den Folgejahren einen schweren Stand
gegen Schwergewichte wie beispielsweise die Hennefer Firma Eckes und
verschwanden im Laufe der Jahre völlig.


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